Das Bundesarbeitsgericht hat den Europäischen Gerichtshof um Klärung der Frage gebeten, unter welchen Voraussetzungen Leiharbeiter bei der Bestimmung der Anzahl der im Leihbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern bei Massenentlassungen berücksichtigt werden. 

Grundlage: § 17 KSchG

Grundsatz: Mit Beschluss vom 16. November 2017 hat das Bundesarbeitsgericht den Europäischen Gerichtshof um Klärung der Frage gebeten, unter welchen Voraussetzungen Leiharbeiter bei der Bestimmung der Anzahl der im Leihbetrieb beschäftigten Arbeitnehmern bei Massenentlassungen (§ 17 KSchG) berücksichtigt werden (können); das Bundesarbeitsgericht stellt dabei auf Art. 1 Abs. 1 Nr. 1a der Richtlinie 98/59/EG ab (BAG, 2 AZR 90/17 (A)).

Vorlage: Das Bundesarbeitsgericht legte dem Europäischen Gerichtshof u.a. folgende Fragen vor:

  1. Ob Art. 1 Abs. 1 Nr. 1a RL 98/59/EG so ausgelegt werden kann, dass Leiharbeiter bei der Bestimmung der Anzahl, der im Regelfall im Betrieb eines entleihenden Unternehmens tätigen Arbeitnehmer mitgezählt werden können und wenn ja,
  2. ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen Leiharbeitnehmer bei der Bestimmung der Anzahl der in einem Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer i.S.d. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 KSchG berücksichtigt werden können.

Prozessgeschichte: Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vertritt die Auffassung, teleologisch ausgelegt, dass Leiharbeiter bei der Bestimmung der Betriebsgröße des Leihbetriebes nicht zu berücksichtigen seien.

Dogmatischer Hintergrund:
Das Bundesarbeitsgericht vertritt die Ansicht, dass Massenentlassungen vorrangig generelle arbeitsmarktpolitische Ziele sowie individual(arbeits-)rechtliche Rechte, zum Schutze vor Kündigungen, verfolge. Deswegen folgt dem Bundesarbeitsgericht auch nicht der Ansicht, dass Leiharbeitnehmer hinsichtlich der Betriebsgröße, nicht aber bei der Ermittlung von Schwellenwerten hinsichtlich einer Massenentlassung(sanzeige) berücksichtigt werden dürfen – zum Schutze der Belegschaft, da eine geringe Beschäftigtenanzahl der – vorrangigen – Eröffnung des personellen und sachlichen Anwendungsbereichs dienlich ist.

Diese Ansicht ist höchst kontrovers, die Literatur (bspw. ErfK/Kiel, § 17 KSchG, Rn. 11; APS/Moll, § 17, Rn. 18a) vertritt – teilweise – eine andere Ansicht: Nach deren Auffassung sei es notwendig, dass Leiharbeitnehmer als Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb qualifiziert werden müssten hinsichtlich der Ermittlung von massenanzeigepflichtigen Schwellenwerten.

Dogmatisch scheint jene Ansicht der Literatur folgenswürdig zu sein, verwiesen auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer. Dazu wie folgt: Nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofes und des Bundesarbeitsgerichts ist vorrangig bei der Ermittlung von Betriebsgrößen (und Betriebsratsgrößen) auf die tatsächliche Anzahl der Beschäftigten abzustellen. Erst nachrangig sei der Rechtsstatus hinzuziehen. Dies entspräche einer teleologischen Auslegung, um Schutzrechte und Schwellenwerte nicht aufgrund vertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten zu umgehen; dem Missbrauch von Werkverträgen und zeitlich befristeten Arbeitsverträgen sowie Leiharbeit entgegenzuwirken, sei auf das tatsächliche Umstandsmomentum abzustellen (vgl. u.a. EuGH, NZA 2015, 1441; BAG NZA 2013, 726). Ob diese Ansicht arbeitsmarktpolitischen Prüfungen Stand halten könnte, bleibt hingegen abzuwarten; da Leiharbeitnehmer zu dem Entleiherbetrieb zurückkehren können, bedarf es der – europarechtlichen – Klärung, ob dennoch der Schutzzweck des § 17 KSchG, Auslösung des Konsultationsverfahrens (vgl. u.a. BAG, NZA 2013, 789; BAG, NZA 2012, 221), insoweit ausgedehnt werden muss.

Die Anmerkung beruht auf der Pressemitteilung des Gerichts (FD-ArbR 2017, 396276).