Eines der (vielleicht?) letzten Vorhaben der Ampel-Regierung ist das Tariftreuegesetz, das u.a. die Norm des § 119 BetrVG als ein Offizialdelikt ändern will. Die Veränderung mag auf den ersten Blick (nur) formaljuristisch anmuten, weg vom Antrags- hin zu eiem Offizialdelikt, doch die Auswirkungen in der Praxis könnten immens sein.  

Die Thematik scheint formaljuristisch, eher theoretischer Art zu sein, dem auch so sein mag, handelt es sich aktuell (nur) um einen juristischen Gedanken(gang), veröffentlich vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Allerdings ist dieser Gedanke(ngang) bereits so weit fortgeschritten, dass er von den Ministerien in einem Referentenentwurf, konkret als „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes und weitere Maßnahmen (Tariftreuegesetz)“ bezeichnet, gefasst worden ist (nachfolgend: Referentenentwurf), immerhin einem vorbereitenden und damit essenziellen Schritt hin zu einem Gesetz bzw. einer Gesetzesänderung. Obwohl der Referentenentwurf vordergründig im Licht der Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes steht, betreffen die ebenfalls genannten „weitere(n) Maßnahmen“ auch die Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Diese beziehen sich jedoch nicht auf tarifvertragliche Themen, sondern betreffen den sechsten Teil des Betriebsverfassungsgesetzes, konkret: die (beabsichtigte) Änderung des § 119 BetrVG, dessen Regelungsinhalt Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder.

Wie praxisrelevant dieses Thema ist, belegt der im Referentenentwurf konkret benannte Lösungsansatz: „Um den Schutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei der Gründung eines Betriebsrats sowie den Schutz der Betriebsratstägiekit weiter zu verbessern, werden Straftaten gegen Betriebsverfassungsorgane und ihre Mitglieder künftig nicht nur auf Antrag (Anteagsdelikt), sondern von Amts wegen verfolgt (Offizialdelikt) (Referentenentwurf, S. 2).

 

  1. Aktuelle Gesetzesfassung

Die aktuelle Fassung des Betriebsverfassungsgesetzes enthält in dem sechsten Teil zwei Straftatbestände (vgl. §§ 119, 120 BetrVG) und einen Ordnungswidrigkeitstatbestand (vgl. § 121 BetrVG). Obgleich das Betriebsverfassungsgesetz originär dem Arbeitsrecht zuzuordnen ist, enthält es dennoch (auch) Vorschriften, so auch die Straftatbestände des § 119 Abs. 1 BetrVG, die eine strafrechtliche Verfolgung ermöglichen (vgl. Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 119 Rn. 1). So kann der Regelungsgehalt des § 119 Abs. 1 BetrVG dahingehend zusammengefasst werden, so das Ergebnis der grammatikalischen Auslegung der Norm, als die Absicherung bzw. der Schutz der Errichtung eines Betriebsrats sowie der betriebsverfassungsrechtlichen Arbeit seiner Mitglieder. § 119 Abs. 1 BetrVG steht damit in einer teleologischen Sinneinheit mit § 78 S. 1 BetrVG, der als Schutzvorschrift einer einflussfreien Betriebsratsarbeit verstanden wird.

Praxistipp

Lesen Sie das Betriebsverfassungsgesetz, lassen sich aus dem Wortlaut der Normen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ableiten!

  1. Antragsdelikt

Nach aktueller Rechtslage ist § 119 BetrVG als Antragsdelikt ausgestaltet. Das bedeutet, dass tathandliche Verstöße gegen einen (Straf-)Tatbestand i.S.d. § 119 Abs. 1 Nr. 1 – 3 BetrVG nur auf Antrag hin von den Strafverfolgungsbehörden (Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichten) verfolgt werden; antragsberechtigt sind die in § 119 Abs. 2 BetrVG genannten betriebsverfassungsrechtlichen Gremien, der Unternehmer oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Ohne einen solchen, schriftlich einzureichenden, Strafantrag wäre ein Verstoß zwar tatbestandlich strafbewehrt, würde in der Praxis aber nicht durchgesetzt werden.

  1. Praxisbezug

So rechtsdurchsetzend und -sichernd der Antragsrecht auch klingen mag, in der (betriebsverfassungsrechtlichen) Praxis zeichnet sich ein anderes Bild – werden kaum Anträge gestellt (vgl. Referentenentwurf, S. 33) bzw. seien hinsichtlich der Effektivität der Strafverfolgung hinderlich (vgl. Schemel/Slowinski BB 2009, 82; Fitting, 32. Aufl. 2024, BetrVG § 119 Rn. 12).  So ergibt sich ein verschwindend geringer Praxisbezug.

  1. Vorgeschlagene Gesetzesänderung

Die „Ampel-Regierung“ schlug (noch) eine Gesetzesänderung vor, die vorsieht, § 119 BetrVG nunmehr als Offizialdelikt auszugestalten (Referentenentwurf, S. 22). Dies solle nicht nur die Rechtsposition der Betriebsräte schützen, sondern gleichermaßen generalpräventiv abschreckend auf jedermann wirken, der die Wahl eines Betriebsrats oder die Betriebsratsarbeit beeinflussen, beinträchtigen, behindern oder stören wolle (vgl. Referentenentwurf, S. 22).

  1. Offizialdelikt

Im Fall der Ausgestaltung als Offizial- und nicht als Antragsdelikt hat die Staatsanwaltschaft bereits dann Ermittlungen einzuleiten, wenn sie positive Kenntnis von einem möglichen Gesetzesverstoß erfährt und muss nicht – so lange oder gar vergebens – warten, bis ein Antrag auf Strafverfolgung eines Antragsberechtigten gestellt wird. Die Strafverfolgung wird somit aus den Händen Betroffener in die des Staates gelegt, der im Licht öffentlichen Interesses und damit unabhängig von dem Willen der Betroffenen handeln, ermitteln und Rechtsfrieden schaffen kann.

  1. Ausgestaltung des § 119 BetrVG als Offizialdelikt

In diesem (staatlichen) Licht soll § 119 BetrVG geändert werden, um den Schutz des Gremiums und der Gremiumsarbeit weiter voranzubringen und zu unterstreichen. Sinn und Zweck des Vorschlags ist damit der Schutz der Betriebsverfassung.

III. Auswirkungen auf die Betriebsratspraxis

Die Politik (konkret: die genannten Ministerien) geht davon aus, dass bei der Änderung des § 119 BetrVG weg von einem Antrags- hin zu einem Offizialdelikt die Anzahl der Ermittlungsverfahren deutlich zunehmen würden (vgl. Referentenentwurf, S. 33). Allerdings gilt es in diesem Zusammenhang anzumerken, dass hochgerechnet auf ein Kalenderjahr und verteilt auf betriebsratsfähige Betriebe i.S.d. § 1 BetrVG jährlich lediglich 77 Verfahren eingeleitet worden sind. Prognostiziert wird, dass die Anzahl der Verfahren verdoppelt werden könne, wenn § 119 BetrVG als Offizialdelikt ausgestaltet werden würde (vgl. Referentenentwurf, S. 33).

 

  1. Fazit

Unabhängig von dem offenen politischen Ausgang, ob der Referentenentwurf auch nach dem Februar 2025 noch weiterentwickelt werden würde hin zu einem konkreten Gesetzentwurf, überzeugt der  Entwurf der Ausgestaltung des § 119 BetrVG weder tatsächlich noch dogmatisch!

Tatsächlich stellt sich die Frage, wie die Staatsanwaltschaft bzw. eine andere Strafverfolgungsbehörde Kenntnis von einem Sachverhalt bekommen sollte, der ggf. ein Ermittlungsverfahren eines Verstoßes i.S.d. § 119 Abs. 1 BetrVG einleiten könnte, wenn nicht direkt von den in § 119 Abs. 2 BetrVG genannten Gremien bzw. Personen. Es dürfte doch lebensfremd sein, anzunehmen, dass ein Betriebsratsgremium beschließt, der Staatsanwaltschaft ein Schreiben zu schicken, sich darin über eine Behinderung der Betriebsratsarbeit zu beschweren (bspw. vom Arbeitgeber begangen) und dann mit den Worten zu enden, dass aber bitte kein Verfahren eingeleitet werden sollte oder dies in das Ermessen der Behörde zu stellen. Wenn sich ein Gremium entschließt, Kontakt mit Strafverfolgungsorganen aufzunehmen, dann würden es sehr wahrscheinlich eh einen Antrag auf Strafverfolgung stellen. Andernfalls würde es gar nicht zu der Kontaktaufnahme kommen. Alles andere wäre sicherlich wünschenswert, die Betriebsratsarbeit zu schützen und rechtssicher durchzusetzen, aber das dürfte wenig mit der (Betriebsrats-)Praxis zu tun haben.

Dogmatisch besteht die Gefahr, dass der betriebsverfassungsrechtliche Grundsatz der inhaltlichen Unabhängigkeit in Gefahr unterwandert werden würde. Dass das Betriebsratsamt kein imperatives Mandat ist, mithin die Betriebsratsmitglieder unabhängig arbeiten, steht (auch) im Licht des Ehrenamtsprinzips gem. § 37 Abs. 1 BetrVG. Für die Betriebsratspraxis bedeutet dies konkret, dass auch nur die Betriebsräte inhaltlich über die Betriebsratsarbeit entscheiden, nicht Dritte. Dritte werden nur dann involviert, bspw. bei einem Arbeitsgerichtsverfahren i.S.d. § 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG oder der Hinzuziehung eines Sachverständigen gem. § 80 Abs. 3 S. 1 BetrVG, wenn die Betriebsratsmitglieder mehrheitlich beschließen (vgl. § 33 Abs. 2 BetrVG). Dementsprechend ist es auch nur konsequent, dass allein die Betriebsratsmitglieder darüber entscheiden, ein Verfahren bzgl. eines Verstoßes gegen § 119 Abs. 1 BetrVG einzuleiten; im Übrigen gilt diese Entscheidungsfreiheit auch für den Unternehmer sowie für eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft. Dass der Staat solche Verfahren an sich ziehen könnte, steht damit im Widerspruch zu der betriebsverfassungsrechtlichen kollektiven Entscheidungsfindung, zumal der Staat auch nicht in der sich aus § 2 Abs. 1 BetrVG begründenden vertrauensvollen Rechtsbeziehung steht. Wenn das Gremium mehrheitlich beschloss, kein Verfahren einzuleiten, würde diese Entscheidungshoheit verloren gehen. Ein Eingriff, der nicht im Einklang mit der Betriebsverfassung steht.

Aufgrund ihrer Praxisrelevanz sollten diese politische und gesetzgeberische Entwicklung daher gleichermaßen alle Arbeitgeber bzw. Unternehmen und Betriebsratsmitglieder kennen!

* Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird ausschließlich die männliche Form verwendet. Inhaltlich sind jedoch alle Geschlechter erfasst, eine geschlechtsbezogene Benachteiligung ist nicht beabsichtigt und wird ausdrücklich verneint.